Medizinnobelpreis 1939: Gerhard Johannes Paul Domagk

Medizinnobelpreis 1939: Gerhard Johannes Paul Domagk
Medizinnobelpreis 1939: Gerhard Johannes Paul Domagk
 
Der deutsche Bakteriologe wurde für den Nachweis der antibakteriellen Wirkung der Sulfonamide ausgezeichnet, mit dem er der Chemotherapie einen entscheidenden Impuls gab.
 
 
Gerhard Johannes Paul Domagk, * Lagow (Mark Brandenburg) 30. 10. 1895, ✝ Burgberg-Königsfeld (Schwarzwald) 24. 4. 1964; 1924 Habilitation, ab 1927 Leiter des Instituts für experimentelle Pathologie und Bakteriologie der Bayer-Werke in Elberfeld (Wuppertal), 1928-58 außerplanmäßiger Professor für Pathologie und Pathologische Anatomie in Münster.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Nach einer Verwundung im Ersten Weltkrieg arbeitete Gerhard Domagk bis zum Kriegsende 1918 in verschiedenen Lazaretten. Dort wurde er mit der Tatsache konfrontiert, dass die Medizin den gefährlichen Infektionskrankheiten, die sich unter den Soldaten ausbreiteten, kaum etwas entgegensetzen konnte. Selbst nach Amputationen kam es oft genug zu bakteriellen Infektionen, die die vorherigen Bemühungen der Chirurgen sinnlos machten. Diese Erfahrungen mögen bei Domagk den Grundstein zu seinen späteren Forschungen gelegt haben. Doch zunächst wandte er sich nach dem Studium der inneren Medizin zu und beschäftigte sich in seiner Doktorarbeit mit der »Beeinflussung der Kreatininausscheidung durch Muskelarbeit«. Seine Habilitationsarbeit für das Fach Pathologische Anatomie 1924 war allerdings schon von bakteriologischen Fragestellungen geprägt: »Untersuchungen über die Bedeutung des retikulo-endothelialen Systems für die Vernichtung von Infektionserregern und für die Entstehung des Amyloids«.
 
Zu dieser Zeit gab es gegen die meisten bakteriellen Infektionskrankheiten wie Kindbettfieber, Lungenentzündung, Ruhr, Hirnhautentzündung oder Scharlach noch immer kein wirksames Mittel. Die Hoffnung, sie mit chemischen Mitteln bekämpfen zu können, schwand zusehends. Stattdessen breitete sich die Ansicht aus, dass die Serumtherapie, wie Emil von Behrings erfolgreiche Diphtheriebehandlung, die beste Methode der Bekämpfung dieser Infektionskrankheiten sei.
 
 Forschungen in der Privatwirtschaft
 
1927 begann Domagk seine Tätigkeit in den Bayer-Werken in Wuppertal-Elberfeld, die 1928 ein Institut für experimentelle Pathologie und Bakteriologie gründeten und ihm unterstellten. Gemeinsam mit den dortigen Chemikern, vor allem Dr. Fritz Mietzsch und Dr. Josef Klarer, suchte Domagk nach Substanzen, die Auswirkungen auf Bakterien zeigten. Sulfonamide, eine Zusammensetzung aus Sulfon(säure) und einer Verbindung des Ammoniaks (Amid), waren zu dieser Zeit schon seit rund 20 Jahren bekannt und konnten im Labor produziert werden. Ihre antibakterielle Wirkungsweise war jedoch bis dahin noch nicht erwiesen. Domagk erhielt von den Chemikern eine Reihe unterschiedlichster Stoffe und Zusammensetzungen, die er selbst in endlosen Serien auf ihre Wirkung hin untersuchte.
 
 Der Durchbruch
 
Domagks Suche nach einem antibakteriellen Wirkstoff zeigte schließlich Erfolg, als er mit sulfonamidhaltigen Azofarbstoffen experimentierte. Am 20. Dezember 1932 infizierte er eine Gruppe Mäuse mit einer tödlichen Dosis Bakterien vom Typ Streptokokken, die von einem Patienten, der eine Blutvergiftung hatte, isoliert worden waren. Der Hälfte der Mäuse wurde eineinhalb Stunden nach der Streptokokkeninjektion eine bestimmte Menge von dem später so genannten Prontosil, einem Sulfonamid, verabreicht. Vier Tage später waren die Mäuse, die kein Prontosil erhalten hatten, tot, während die anderen lebten und wohlauf waren. Das war die Grundlage eines Nachweises, der der Chemotherapie einen ungeahnten Auftrieb geben sollte. Ein Jahr später, im Dezember 1933, kam es für Domagk selbst zur »Feuerprobe«. Seine einzige Tochter erkrankte nach einem Nadelstich an einer eitrigen Entzündung des Zellgewebes. Da alle Therapien nicht anschlugen, empfahlen die Chirurgen schließlich, den Arm des Mädchens zu amputieren. Daraufhin entschloss sich Domagk, seine Tochter mit Prontosil zu behandeln. Das Risiko lohnte sich, das Mädchen wurde gesund, der Arm heilte. Diesen Fall veröffentlicht Domagk nicht. Er wartete noch zwei Jahre, bis 1935 die klinischen Tests abgeschlossen waren.
 
Domagks Veröffentlichung zur Wirkungsweise des Prontosil im Februar 1935 in der »Deutschen Medizinischen Wochenschrift« drang auch ins Ausland. Es folgten weitere Untersuchungen mit Sulfonamiden von Domagk selbst und von anderen Bakteriologen in Deutschland, Frankreich, in den USA und in Großbritannien. 1939 wurde Domagk für seine Entdeckung der antibakteriellen Wirkung von Prontosil der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie zugesprochen. Er konnte ihn jedoch nicht entgegennehmen. Die Nationalsozialisten hatten allen deutschen Staatsangehörigen verboten, einen Nobelpreis anzunehmen. Domagk bedankte sich dennoch in Stockholm für die Auszeichnung, woraufhin ihn die Gestapo verhaftete und für kurze Zeit inhaftierte. Erst acht Jahre später, im Dezember 1947, konnte Domagk die goldene Medaille und die Verleihungsurkunde in Stockholm in Empfang nehmen — das Preisgeld war satzungsgemäß verfallen. In seiner Rede versäumte er es nicht, die Verdienste der Chemiker Dr. Mietzsch und Dr. Klarer zu würdigen, nachdem er festgestellt hatte, dass das Problem der Chemotherapie bakterieller Infektionen weder durch experimentelle medizinische Forschung noch durch Chemiker allein gelöst werden könne. Nur wenn beide Disziplinen über viele Jahre eng zusammenarbeiteten, gäbe es eine Chance auf Erfolg.
 
 Weitere Forschungen
 
Domagk arbeitete zunächst auf dem Gebiet der Sulfonamide weiter und fand 1938 den Nachweis der therapeutischen Wirkung des Ulirons und seiner Derivate, was zur Entwicklung von Supronal führte. Dann befasste er sich während und nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Krankheit, die sich durch die Kriegs- und Nachkriegsbedingungen wieder rasant ausgebreitet hatte und mit Sulfonamiden kaum in den Griff zu bekommen war, der Tuberkulose. Dem Amerikaner Selman Abraham Waksman (Nobelpreis 1952) war mittlerweile die Entwicklung des Streptomycins gelungen, daneben wurde Paraaminosalicylsäure zur Behandlung der Tuberkulose angewandt. Domagk stellte diesen beiden Medikamenten 1947 sein Mittel Conteben zur Seite, das 1952 durch Neoteben ersetzt wurde und Wirkung zeigte. Damit war ein wichtiger Beitrag zur Chemotherapie der Tuberkulose erbracht. Domagk versuchte daraufhin, auch den Krebs chemotherapeutisch zu behandeln, was ihm jedoch nicht gelingen sollte. Daneben gehen die so genannte »Domagk-Färbung« von Präparaten und das »Domagk-Phänomen«, die Variation des therapeutischen Effekts der Sulfonamide entsprechend den Schwankungen des individuellen Resistenzpotenzials, auf ihn zurück. Die internationalen Ehrungen für seine bahnbrechenden Erfolge ließen nicht auf sich warten: 1951 wurde er Ritter des Verdienstordens Pour le mérite, er erhielt die Ehrendoktorwürde der Universitäten Münster, Gießen, Buenos Aires, Bologna, Lima und Cordoba, wurde Mitglied der Royal Society und der British Academy of Science sowie Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Dermatologie.
 
S. Hähner-Rombach

Universal-Lexikon. 2012.

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